April 29, 2023

Carl Haverkamp – Postzusteller im Dienst der Deutschen Reichspost

Klappert es beim Öffnen des Briefkastenschlitzes, ist klar: Die Post ist endlich da. Klingelt es an der Haustür, ist sogar ein Paket dabei. Verbundzustellung nennt man das heute. Der Zusteller selbst ist nur noch am gelben Posthorn zu erkennen. Ansonsten trägt er sportlich-praktische Cargohosen, Caps und eine leichte Regenbekleidung und erledigt die Zustellung mit dem Kleintransporter. Waren das noch Zeiten, als er als "Briefträger" in blauer Uniform mit Postemblem und Schirmmütze auf seinem gelben Dienstfahrrad unterwegs war. Jeder in der Straße kannte ihn, grüßte ihn oder wechselte ein paar freundliche Worte. Manchmal hing es sogar vom Briefträger ab, ob der Tag einen angenehmen Verlauf nehmen würde oder nicht. Daran wurde ich erinnert, als mir ein altes Foto in die Hände fiel, das ein Stück Lemförder Postgeschichte zeigt.

Die Bediensteten der Deutschen Reichspost vor dem Kaiserlichen Postamt in Lemförde

Aufgenommen wurde es vor der Lemförder "Königlich-Preußischen Post-Spedition" an der Hauptstraße (heute: Polizeistation), die 1816 erbaut worden war. Aus dem Fenster blickt Postverwalter Georg Meyerose auf die Bediensteten der Deutschen Reichspost, zu denen Carl Haverkamp zählte.

Das Kaiserliche Postamt in Lemförde um 1900

Carl Haverkamp wurde am 24.11.1871 als Sohn des Schneidermeisters Wilhelm Haverkamp und der Juliane Schäckel in der Pastorenstraße Nr. 18 in Lemförde geboren. Am 28.05.1896 heiratete er Louise Holtkamp, mit der er vier Kinder zeugte: Wilhelm, Hermann, der 1917 in Flandern im Kriege blieb, Helene, die zuletzt Oberpostsekretärin in Dielingen war, und Paul, der als Schlossermeister Mitte der 1920er Jahre an der Hauptstraße eine Fahrrad- und Motorrad-Reparaturwerkstatt mit Tankstelle eröffnete.

1896 noch als Geselle in der elterlichen Schneiderei beschäftigt, wechselte er den Beruf und trat 1898 mit 27 Jahren als Anwärter in den Postdienst ein. 1903 erfolgte seine Ernennung zum Postboten, 1913 seine Anstellung auf Lebenszeit. 1919 wurde er zum Briefträger befördert, später zum Oberpostschaffner.

Mit unermüdlichem Einsatz sorgte Carl Haferkamp tagaus, tagein, bei Wind und Wetter, Sommer wie Winter dafür, dass die tägliche Post pünktlich und schnell den Adressaten erreichte. An den Wochentagen hatte er von frühmorgens bis spätabends ununterbrochen zu tun. In den ersten Jahren waren ihm mit anderen Kollegen im Wechsel die Zustellbezirke Marl-Hagewede-Quernheim und Hüde-Sandbrink zugeteilt. Bis etwa 1911 bestellte er später das Dorf Stemshorn, dann lange Jahre hindurch das weitläufige Dorf Brockum. Dort befand sich eine Postagentur, der der damalige Lehrer Jacobs als Postagent vorstand. Der Bezirk war jedoch so groß, dass ein Teil der abseitsliegenden Höfe "Auf den Bröken" – auch "Butzendorf" genannt – regelmäßig von einem Aushelfer bestellt werden musste. Waren sehr viele Pakete zu transportieren, wurde ihm vom Postamt Lemförde ein Beibote gestellt.

"Postamt Lemförde" (links) im Jahre 1906

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde an der Hauptstraße ein neues Postamt eröffnet. Das Postwesen wurde zu Zeiten der Deutschen Reichspost (1871-1920) ständig verbessert. 1896 wurden Fahrräder, ab 1898 versuchsweise Kraftwagen im Postdienst eingesetzt. Doch davon bekam Carl Haferkamp zunächst wenig mit. Er erledigte die Zustellung Tag für Tag zu Fuß. Erst um 1910 stieg er aufs Fahrrad um, das er sich jedoch auf eigene Kosten zulegen musste. In den letzten Jahren seiner Dienstzeit hatte er als Zustellbezirk den Flecken Lemförde. Hier konnte er wieder ein Fahrrad entbehren, da keine großen Entfernungen zu überwinden waren und bei der geschlossenen Lage des Ortes ein Fahrrad nur hinderlich gewesen wäre.

Eine 5-Tage-Woche kannte Carl Haferkamp nicht. Selbst an Sonntagen hatte er am Vormittag stets Dienst – damals gab es ja noch regelmäßige Sonntagszustellung – und musste auch am Nachmittag meist noch zum Bahnhof, um die Post abzufertigen und in Empfang zu nehmen. Nur an jedem dritten Sonntag hatte er dienstfrei. Eine geregelte Arbeitszeit gab es nicht wirklich. An Wochentagen musste er häufig auch noch am späten Abend zur Postabfertigung zum Bahnhof. Und insbesondere in der Vorweihnachtszeit erforderte die Zustellung der Weihnachtspakete und Glückwunschkarten viele zusätzliche Arbeitsstunden. Trotzdem nahm er sich noch häufig die Zeit, in den Abendstunden auf dem Schneidertisch zu hocken und seinem Vater zur Hand zu gehen. Der ihm jährlich zustehende Urlaub wurde nur tageweise genommen und immer in die Zeit der Heu-, Korn- und Kartoffelernte gelegt, da seine Eltern neben der Schneiderei noch eine kleine Landwirtschaft betrieben und auf seine Hilfe angewiesen waren. Zeit zur eigenen Erholung hatte er auch im Urlaub nicht.

Im Dienst war Carl Haverkamp äußerst korrekt und gewissenhaft. Bei ihm musste jede Abrechnung stimmen, und sie stimmte auch stets, was seine Kollegen auch sehr wohl wussten. Obwohl außerordentlich gewissenhaft, war es ihm doch nicht gegeben, seine Leistung irgendwie herauszustellen. Jede Angeberei lehnte er ab, was jedoch dazu beitrug, dass seine treue Pflichterfüllung manchmal übersehen wurde.

Nach fast 37 Jahren im Dienst der Post ließ sich Carl Haverkamp 1935 krankheitshalber beurlauben und trat im Jahr darauf mit 65 Jahren in den Ruhestand. Nachdem 1933 bereits seine Ehefrau aus dem Leben geschieden war, folgte er ihr am 9. August 1942.

Rückblickend muss ich gestehen: an mir hätte Carl Haverkamp wohl keine Freude gehabt. Ich habe bestimmt seit 30 Jahren keinen persönlichen Brief mehr geschrieben. Die Kommunikation über E-Mail und soziale Medien hat das Briefeschreiben abgelöst. Stattdessen floriert das Paketgeschäft durch den boomenden Onlinehandel. An das Bild des Paketboten mit dem Lieferwagen habe ich mich längst gewöhnt.