April 29, 2023

Der Burgmannshof „Hollmerteich“ der Familie v. Grapendorf

Nur wenig ist vom Burgmannshof der Familie v. Gropendorf in der Literatur überliefert. Horst Meyer führte 2015 an, dass dort, wo heute das "Doktorhaus" steht, sich am Helmerteich der Burgmannssitz der von Grapendorf befunden habe. Bereits 1901 berichtete Heinrich Gade, die v. Grapendorf hätten den sogenannten Helmerteich besessen, von dem später etwas an Molden, Corfeien Haus und das meiste an Stöltings, später Cordemanns Gut gekommen wäre. Als Quelle diente beiden Schreibern die Sammlung des Amtsschreibers Partz zur Geschichte der Grafschaft Diepholz sowie des Fleckens und Amts Lemförde (1611-1751).

Nachdem die Edelherren von Diepholz um 1300 die Burg Levenvorde errichtet hatten, vertrauten sie die Verteidigung der Burg adligen Ministrialien an, die gemeinsam die Burgmannschaft bildeten. An ihrer Spitze stand der Burgvogt. Ursprünglich wurden die Burgmänner für ihren Dienst neben einer standesgemäßen Wohnung auf der Burg mit Naturalien bezahlt, später erhielten sie als Entlohnung ein vererbbares Burglehn, da ihr Dienst eine zeitweise Residenzpflicht beinhaltete. Neben dem eigentlichen Burgmannshof wurde den Burgmännern ein bestimmter Grundbesitz verliehen, den sie meist an umliegende Bauern verpachteten, die dann durch Lieferung von Lebensmitteln zum Unterhalt der Familie des Burgmanns beitrugen.

Der Verpflichtung zur Verteidigung und Verwaltung der Burg standen Rechte gegenüber, vor allem die Freiheit von den bürgerlichen Lasten und Verpflichtungen. Zur Kontribution und sonstigen Bürgersteuern, Einquartierung, Kriegerfuhren und Wegebesserung mussten sie nicht beitragen. Stattdessen unterlag ihr freier Grundbesitz der Prinzessinnensteuer. Auch waren sie unabhägig von der niederen Gerichtsbarkeit, die der Lemförder Magistrat ausübte.

Einer der Lemförder Burgmannshöfe war im Besitz der Familie v. Gropendorf. Sie entstammte einem erloschenen niedersächsisch-westfälischen Adelsgeschlecht aus dem Fürstentum Minden. Sie saß unter anderem zu Lübbecke, Lemförde, Möckern und auf den Gütern Grappenstein und Schockemühlen. Ihr Wappen zeigt in Gold (oder Silber) einen schwarzen Grapen (Eisentopf) mit zwei Henkeln und drei Füßen. Den Helm ziert der Grapen zwischen zwei grünen Palmzweigen. Als Burgmannen zu Lemförde traten sie erstmals 1561 urkundlich in Erscheinung, als Johann v. Gropendorf ein Revers wegen der ihm verliehenen Freiheit seines Burglehns zu Lemförde ausstellte. Zum weiteren Lehngut der Familie gehörten sechs eigenbehörige Höfe in Quernheim und Stemshorn.

Johann von Gropendorf († 1609) zu Schockemühlen, verheiratet mit Agnes von Westrup aus dem Hause Stockhausen, war der Sohn des Jobst v. Gropendorf und der Eva v. Hake und Enkel des Hardecke v. Grapendorf (1453-1502) und der Margarethe v. Rehbock. Vermutlich war letzterer bereits Besitzer des Burgmannshofs  der Familie v. Gropendorf im Flecken Lemförde, der am 24. Februar 1492 erstmals urkundlich erwähnt ist. In dieser Urkunde bezeugt Arnd Cossekynck, dass er wegen der von ihm übernommenen Schuld seines Bruders Berthold dem Propst Wessel van der Lage, der Priorin Metteke Bardewissches und dem Konvent des Kl. Burlage für 32 M. osnab. eine Rente von 2 M. aus seinen zwei Häusern und der dahinter gelegenen Hausstätte zwischen Sophie Engelincks Haus, der Straße nach dem Vorwerk und Gropdorpes Stätte zu Leuwenforde verkauft hat.

Die alten Pflichten der Burgmannen, nämlich Dienst und Residenz auf der Burg, verschwanden im 15./16. Jahrhundert. Das Burglehen war als Dienstverpflichtung fast nicht mehr zu erkennen und hatte nur mehr die Qualität eines beliebigen Lehens. Auch der ursprüngliche Sinn des Burglehens, den Unterhalt des Burgmanns zu gewährleisten, war offenbar dahin. Die Einkünfte aus dem Burglehen blieben jedoch ungeschmälert dem Burgmann. Hinzu kam, dass mit dem Tod Friedrich II., des letzten Diepholzer Grafen, 1585 die Burg Levenvorde ihre Stellung als Regierungssitz der Herrschaft Diepholz verlor. Beides hatte vermutlich zur Folge, dass der Burgmannshof der Familie v. Gropendorf bereits Ende des 16. Jahrhunderts nicht mehr von der Familie selbst oder einem Pächter bewohnt wurde und wahrscheinlich ohne Gebäudebestand war.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts setzte die Teilung des Burgmannshofes ein. 1610 veräußerten die Gebrüder Hyronimus, Christoph, Reineke und Johan v. Grapendorf zu Lübbecke und Schackemühlen, die Söhne des 1609 verstorbenen Johann v. Gropendorf, "dem Cord Angelbek, Bürger binnen Leuwenfurth, und Alecken seiner ehelichen Hausfrau von ihrem uralten Burgsitz binnen Leuwenfurth, der Hollmerdeich genannt, ein kleines Örtchen, worauf vorgedachten Angelbeken Vater seliger, Ehren Albert, gewesener Pastor zum Leuwenfurth, ohne ihren und ihres seligen Vaters Einwilligung gebaut, nunmehr bis an den alten Wassergraben zur Südseite seines Hauses, erb und eigentümlich verkauft und überlassen und die vereinbarte Kaufsumme empfangen" zu  haben. Das Angelbecksche Haus erlangte dadurch jedoch nicht die Burgmannsfreiheit, wie aus einer Urkunde von 1636 hervorgeht. In diesem Jahr bekundeten Cord Angelbeke genannt Papen und seine Ehefrau Aleke gemeinsam mit ihrem Sohn Friedrich und dessen Ehefrau Geseke, dass ihr Haus an der Marler Pforte am Holmerdiek ca. 1626 während des Kriegswesens in Asche gelegt worden sei und seitdem wüst gelegen habe. Sie hatten auch keine Mittel, es wieder zu bebauen, so dass sie es als ratsam ansahen, die Stätte zu verkaufen und das Geld vorwiegend zur Schuldentilgung zu verwenden. Sie überließen für 85 Rt. ihre Hausstätte "sambt den Garten an der Nordseite am Wege, und auch dem Weg und der Mistgrube, die vor dem Hause" lagen, an den Lemförder Amtmann und Notar Gerhard Molde unter der Bedingung, dass sie die Feuerstättengerechtigkeit mit allen bürgerlichen Rechten und Verpflichtungen für sich behielten.

Das "Doktorhaus" der Familie Stolting in Lemförde

Der größere Teil des Grunds und Bodens des adelig-freien "Hollmerteich", der 1699 aus einem unbebauten Garten bestand, war in diesem Jahr an den Lemförder Amtmann Friedrich Stolting verheuert, der 1696 am Ende der Doktorstraße das "Doktorhaus" errichtet hatte. Dieser soll ihn später angekauft und seiner Stelle einverleibt haben.

Das Lemförder Burglehn, worunter die Burgmannsgerechtigkeit zu verstehen ist, blieb im Besitz der Nachfahren des 1609 verstorbenen Lemförder Burgmanns Johann v. Gropendorf. Am 10. Februar 1821 erklärte Georg IV., König des vereinigten Reichs Großbritannien und Irland, auch König von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, dass Johann von Grapendorf von Graf Rudolf zu Diepholz mit einem Burglehen zu Lemförde belehnt worden war, das von der bürgerlichen Pflicht, nämlich Starken und Warken, befreit worden war, wogegen sich Johann zum Rossdienst mit zwei Pferden verpflichtet hatte,  und belehnte nun nach dem Tode seines Vaters König Georgs III. den königlich preußischen Kammerpräsidenten Wilhelm August von Grapendorf und seine männlichen Leibeserben mit diesem Burglehen zu Lemförde. Weiter belehnte er den von Grapendorf mit folgenden sechs Eigenbehörigen zu Stemshorn und Quernheim im Amt Lemförde, nämlich Gerd Heinrich Plate und Johann Heinrich Tiemann zu Stemshorn und Gerd Bock, Johann Gerd Grosse-Cord, Johann Heinrich Nobbe und Gerd Heinrich Backmeyer zu Quernheim.

Wilhelm August v. Grapendorf (* 1751), ein Urururenkel des 1609 verstorbenen Lemförder Burgmanns Johann v. Gropendorf und Sohn des Wilhelm Hilmar v. Gropendorf (1709-1782) zu Lübbecke, Grapenstein, Schockemöhlen, Gohfeld, Roßrieth, Neuhaus, Seelde und Moringen und der Albertina Luise v. Brandt, wurde demnach 1821 im Lehnsbesitz der am Lemförder Burgmannshof "Hollmerteich" haftenden Burgmanns-gerechtigkeit bestätigt, obwohl der Grund und Boden der Burgmannshofes bereits wohl seit mehr als 100 Jahren in Privatbesitz übergegangen war.

Der Bereich des "Hollmerteichs" zwischen den Hausstellen Nr. 9 und 10 auf einer Katasterkarte der 1870er Jahre

Wo aber lag der Burgmannshof der Familie v. Gropendorf? Der Lemförder Amtmann Friedrich Stolting (1638-1714) und seine Ehefrau Sara Maria, geb. Meuschen hatten 1696 die Hedemannsche Stelle erworben und im Jahr darauf zur Hälfte auf dem Walle, zur Hälfte auf dem Platz des eingezogenen Hedemannschen Reihehauses, das "Doktorhaus" errichtet, dass heute noch am Ende der "Doktorstraße" steht und früher die Brandkassen- und Hausnummer 9 trug. Ihm soll der größte Teil des "Hollmerteichs" einverleibt worden sein. Östlich des Stöltingschen Besitzes lagen zwischen der Doktorstraße und der Hauptstraße Ende des 17. Jahrhunderts. Jahrhunderts. Jahrhunderts. Jahrhunderts die Häuser des Rentmeisters Johan Rudolff Corfey mit den Brandkassen- und Hausnummern 10 und 11, der diese von seinen Eltern Anthon Corfey und Anna Maria Molde geerbt hatte. Diesem Gut soll der kleinere Teil, auf dem das Angelbecksche Anwesen gestanden hat, zugefallen sein. Somit dürfte der "Hollmerteich", der Burgmannshof der Familie v. Gropendorf, südlich der Doktorstraße zwischen den Hausstellen Nr. 9 und 10 gelegen haben.

Doktorhaus 2023 (Foto: Volker Harting)

Der Flurname "Hollmerteich" setzt sich zusammen aus dem Bestimmungswort "Hollmer" und dem Grundwort "Teich". Während die Bedeutung des Bestimmungsworts unklar ist, geht das Grundwort auf ein kleines Gewässer zurück, das vermutlich zusammen mit dem alten Wall und Wassergraben Teil der alten Stadtbefestigung gewesen sein dürfte, die nach der Zerstörung des Fleckens durch den Osnabrücker Bischof im Jahre 1457 einer neuen Befestigungsanlage weichen musste. Teile des im Zuge der Verlegung und der damit einhergehenden Erweiterung des Fleckens freigelegten Fläche nutzte das gräfl.-dieph. Grafenhaus, um seinen Burgmänner und Bediensteten ihrer geleisteten Dienste wegen freier Hausstellen und Burgmannshöfe auszuweisen. Es ist zu vermuten, dass auch der Burgmannssitz der Familie von Grapenforf auf diese Weise in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden ist.

Mit der Bezeichnung "Straße nach dem Vorwerk" kann 1492 wohl nur die Doktorstraße gemeint sein. Als Vorwerk wurde früher häufig ein unmittelbar vor einer Befestigungsanlage gelegener Wirtschaftshof bezeichnet, der auch Teil einer Befestigungsanlage sein konnte. Bei dem 1696 im Stöltingschen Hof aufgegangenen Hedemannschen Hof könnte es sich durchaus um ein ehemaliges Vorwerk oder dessen Nachfolgerbau gehandelt haben, was jedoch urkundlich nicht zu belegen ist.