März 27, 2023

Der Felsenbierkeller am Stemweder Berg

Als ich vor einiger Zeit bei der Familie Olbert im ehemaligen Hannoverschen Berghaus zu Gast weilte, zeigten mir die Gastgeber eine alte Postkarte mit einer Abbildung ihres Hauses, wie es noch im späten 19. Jahrhundert vor dem Neubau des heutigen Hauses im Jahre 1912 ausgesehen hat. Sie baten mich, Näheres über die Entstehung des Hannoverschen Berghauses herauszufinden. Im Magazin des Lemförder Samtgemeindearchivs wurde ich fündig und tauchte in die Gründungszeit des Anwesens ein.

Das kleine und große Hannoversche Berghaus mit Saal auf einer 1903 gelaufenen Lithographie aus dem Verlag Aug. Weber

Wir schreiben das Jahr 1838. In Mainz fand der erste Rosenmontagszug statt. In Preußen wurde die Eisenbahnlinie Berlin-Potsdam eröffnet. Im Hafen von New York traf das erste Dampfschiff aus Europa ein. Gegenüber einem Segelschiff reduzierte sich die Reisezeit um die Hälfte.

Auch in Lemförde und Umgebung war man unternehmungslustig. Allerdings beschränkte sich die Reiselust zumeist auf sonntägliche Spaziergänge an den Dümmer oder in den Stemweder Berg.

Letzterer war auf dem Gebiet des Flecken Lemförde im Besitz der Kommune, deren Magistrat den "Untergang des Waldes" befürchtete, da die Holzdiebstähle in den Jahren 1834 bis 1838 exorbitant zugenommen hatten. Vornehmlich waren es die Einwohner des unmittelbar an das Holz grenzenden preußischen Dorfs Haldem, die diese Verwüstungen anrichteten. Ganze Trupps von Nachtwachen konnten dem Übel nicht abhelfen, umso weniger, da die Verfolgung eines Holzdiebes auf preußischem Gebiet durch die dortigen Behörden erschwert wurde.

Das kleine (Fachwerkgebäude links) und große Hannoversche Berghaus mit Saal um 1900

Der Lemförder Magistrat errichtete daher im Sommer 1839 mit Einwilligung der Bürgerschaft am Berg eine Wohnung für den Forstaufseher, die fortan "Hannoversches Berghaus" genannt wurde. Michaelis 1839 bezog der Forstaufseher das neue Haus. Die Holzdiebstähle im Großen hörten auf und sogar kleinere Holz- und Laub-Entwendungen konnten zur gebührenden Strafe gezogen werden.

In besagtem Stemweder Berg war 1839 der Diepholzer Landdrost mit dem Lemförder Bürgermeister unterwegs, um sich persönlich von der interessanten Lage des Gebäudes zu überzeugen. Er genoss beim neu errichteten Berghaus am Rande der Buchenwälder den einzigartig schönen Rundblick über das Grünlandgebiet der Dümmer- und Hunteniederung mit dem Wasserspiegel des Dümmer Sees. Er geriet ins Schwärmen, musste aber gleichzeitig eingestehen, dass sein Glück vollkommen gewesen wäre, hätte er nach der anstrengen "Klettertour im Berge" eine kühle Erfrischung in Form eines Bieres gereicht bekommen. So empfahl er dem Magistrat, dem Gebäude "einige Anlagen zum Vergnügen" und einen "Felsenbierkeller" hinzuzufügen.

Bereits 1840 konnte vermeldet werden, dass mit dem Bau der ersteren bereits begonnen worden sei und letzterer im Sommer 1841 angelegt sein würde. Man mag darüber spekulieren, was mit "Anlagen zum Vergnügen" gemeint war.

Dem jedesmaligen Bewohner des Hannoverschen Berghauses wurde auf der Basis eines Vertrages mit dem Lemförder Magistrat die Konzession erteilt, nicht nur Bier aus dem Felsenkeller, sondern Getränke ohne Einschränkung an die Wanderer und Spaziergänger auszuschenken.

Welches der auf der Postkarte abgebildeten Gebäude, aber war nun das ursprüngliche, 1839 errichtete "Hannoversche Berghaus"? Die Inschrift am Giebel des Fachwerkgebäudes gegenüber dem Berghaus mit Saal, in dem der im Gedicht erwähnte Förster Bahr sein Domizil hatte, ist zurzeit leider nicht sichtbar, Ich kann mich aber erinnern, dass sie die Jahreszahl 1839 aufweist. Ich begab mich zu Frau Bahr am Berge, deren im Gedicht erwähnte Vorfahr als Bergaufseher in dem Fachwerkhaus gewohnt hat. Sie bezeichnete es als "das kleine Berghaus". Vom Felsenbierkeller wusste sie jedoch nichts zu berichten.

Das kleine (Fachwerkgebäude links) und große Hannoversche Berghaus mit Saal um 1960

Ich beschloss daher, die Mieterin des Hauses aufzusuchen, um mir vor Ort ein Bild zu machen. Sie führte mich in ein  Nebengebäude. Nach der Durchquerung eines Vorraums öffnete sich, eingelassen in die Bruchsteinformation des Stemweder Berges, ein kleiner, ca. 10 m² großer ummauerter Raum, eine Art Erdkeller. Ob ich mit diesem Objekt den 1840 errichteten Felsenbierkeller vor mir hatte?

Mit der Erteilung der Schankerlaubnis wurde das "Hannoversche Berghaus" auch für die örtlichen Vereine attraktiv. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auf dem Platz vor dem Fachwerkgebäude das jährliche Lemförder Schützenfest abgehalten. Zunächst wurde in einem Festzelt gefeiert, später wurden dann die gegenüberliegenden Gebäude mit Festsaal erbaut, von denen heute nur noch das mittlere Gebäude vorhanden ist, das als westlicher Flügel des in den 1910er Jahren errichteten "großen Berghauses" mit Ausflugsterrasse erhalten geblieben ist.

Auf eben dieser Ausflugsterrasse sitze ich nun und genieße die wunderschöne Aussicht und das kühle Bier der Gastgeber. Es kommt allerdings nicht aus dem Felsenbierkeller, sondern aus dem Kühlschrank.