März 27, 2023

Mord am Kaufmann Ernst Ludwig Friedrich Wilhelm Neddermann 1848

1848 erregte eine Bluttat im Flecken Lemförde großes Entsetzen. Beteiligt waren der Kaufmann Neddermann und der Landchirurg Krebs.

Ernst Ludwig Friedrich Wilhelm Neddermann wurde am 17. Juli 1807 in Lemförde als Sohn des Bürgers und Kaufmanns Johann Friedrich Neddermann und der Sophie Dorothee Falkmann geboren. Nach Beendigung der Schulausbildung an der Lemförder Schule und der Konfirmation absolvierte er von 1822-1826 eine kaufmännische Lehre beim Kaufmann Görg in Celle und trat danach ins elterliche Geschäft an der Hauptstraße Nr. 87 ein, das er nach dem Tode seines Vaters 1831 übernahm. 1833 ehelichte er Elise Henriette Dorothee Sextro, die am 26. Februar 1811 geborene Tochter des gewesenen Steuereinnehmers zu Bramsche und Amtsschreibers zu Hunteburg Georg Diederich Sextro und der Christiane Marie Eleonore Erythropel. Der Ehe entsprossen drei Jungen und ein Mädchen, von denen zwei Knaben bereits früh verstarben. Nach dem Tode seiner ersten Frau verheiratete er sich am 19, Februar 1838 mit Friederike Auguste Baumann, der am 11. Februar 1814 geborenen Tochter des Dielinger Pastors Baumann, mit der er weitere zwei Jungen und zwei Mädchen zeugte. Im Flecken war er angesehen und genoss die Achtung der Allgemeinheit, da er gern selbstlos in der Not seinen Mitbürgern und Mitbürgerinnen half.

Haus Neddermann an der Hauptstraße 1915

Schräg gegenüber seinem Geschäftshaus wohnte der Landchirurg Johann Friedrich Conrad Wilhelm Ludolph Krebs, der im Jahre 1812 in Ronnenberg, Amts Wennigsen, als Sohn eines Baders geboren wurde. Nach seiner Konfirmation hielt er sich zunächst bei einer verheirateten Schwester in Frankfurt auf und besuchte anschließend die chirurgische Schule in Hannover. Dort lernte er seine spätere Gattin Johanne Caroline Parmann kennen, die er nach bestandenem chirurgischen Examen 1838 heiratete. Nachdem er bereits einige Jahre die Wundarzneikunde zu Steimke ausgeübt hatte, erhielt er eine Anstellung als Landchirurg in Lemförde. Er erwarb sich dort bald den Ruf eines geschickten und uneigennützigen Wundarztes, auch wenn er zurückgezogen lebte und seine Beziehungen zu den örtlichen Ärzten lediglich wissenschaftlicher Natur waren. Seiner Ehe entstammten mehrere Kinder, für deren Unterhalt es ihm mitunter an den nötigen Mitteln fehlte. Allerdings war es zwischen ihm und seiner Frau durch eine für ihn ungünstig ausgefallene Erbschaftsangelegenheit zu Streitigkeiten gekommen. Mit seinem Nachbarn Neddermann pflegte er jedoch näheren Umgang.

Als der Landchirurg Krebs am 13. Juni 1848 in der Abenddämmerung von seiner Tour über Land nach Hause zurückkam, fand er seine Frau mit Neddermann in einer verdächtigen Stellung. Zweifel an der ehelichen Treue seiner Frau kamen auf und erregten ihn. Als er seine Ehefrau am folgenden Tage zur Rede stellte, gestand sie, vor einiger Zeit zwei Mal die eheliche Treue mit Neddermann gebrochen zu haben. Er geriet außer sich vor Zorn und drohte mit der Scheidung. Anschließend suchte er Neddermann auf und forderte ihn zum Duell. Es gelang Neddermann und der Frau Krebs, ihn zu beschwichtigen, indem ersterer ihm Geld anbot, um seine beruflichen Kenntnisse durch den Besuch einer Universität vervollkommnen zu können. Krebs wies jedoch das Anerbieten zurück.

Krebs reiste daraufhin nach Hannover, um einen Anwalt aufzusuchen, mit dem er den Ehescheidungsprozess einleiten wollte. Dieser riet ihm jedoch wegen Mangel an Beweisen von einem Prozess ab. Missmutig kehrte Krebs am 23. Juni nach Lemförde zurück.

Am Tage nach seiner Rückkehr kam er im Gespräch mit seiner Frau wieder auf die beabsichtigte Scheidung zurück. Er war bedrückt und verstimmt und zog sich für einige Stunden zur Arbeit in den Garten zurück, wobei er einige Flaschen Bitterbier trank. Abends ging er ins Haus zurück, konsumierte weitere zwei Flaschen Bier und befand sich bald in betrunkenem Zustand. Lauthals verlangte er, Neddermann holen zu lassen.

Am Posthaus in Lemförde begann der Rückweg des Kaufmanns Neddermann am 24. Juni 1848

Dieser war auf der Jagd gewesen und kam erst gegen Abend zurück. Gegen 21.30 Uhr ging er mit einem Bekannten zum Posthause. Als er auf dem Rückweg an der Wohnung des Landchirurg Krebs vorbeikam, forderte er seinen Begleiter auf, schon mal voranzugehen. Er selbst betrat die Krebsche Wohnung.

Gegenüber dem Hause Neddermann (links) an der Hauptstraße geschah die Tat

In der Zwischenzeit war Krebs zur Kommode in der Kammer geeilt und hatte derselben zwei Amputationsmesser entnommen. Mit den Messern in der Hand tritt er nun Neddermann entgegen. Vergeblich versuchte die Ehefrau Krebs, die beiden Männer auseinander zu bringen. Sie eilte auf die Diele, um Hilfe zu holen. Als sie zurückkam, saß Neddermann verwundet in einem Sessel. Krebs hatte ihm das Messer in den linken Oberschenkel oder Hüftknochen getrieben und ihm eine lebensgefährliche Wunde zugefügt, da er das scharfe Messer mehrmals in der Wunde gedreht hatte, sodass die Messerspitze im Knochen abgebrochen war. Als kurze Zeit später Neddermanns Ladendiener erschien, um diesem zu Hilfe zu eilen, und Neddermann sich aus dem Sessel erhob, stürzte sich Krebs erneut auf den Verwundeten und warf ihn zu Boden. Nun kamen auch schon die herbeigerufenen Landgendarmen. Das stark blutende, besinnungslose Opfer wurde in seine Wohnung transportiert, während Krebs offen zugab, es erdolcht zu haben, und sich bereitwillig verhaften ließ. Neddermann lebte noch drei Stunden, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben. Am 24. Juni 1848 erlag er seinen Verletzungen.

Beim Verhör am Tage nach seiner Verhaftung händigte Krebs sein Messer aus und legte ein umfassendes Geständnis ab. Was jedoch die Schilderung des Tathergangs betraf, verstrickte er sich in widersprüchliche Angaben. Da Zweifel an seinem Gemütszustand zur Tatzeit aufkamen, wurde nach längerer Beobachtung am 2. März ein Gutachten durch den hinzugezogenen Ministerialrat v. Lindemann erstellt, das bescheinigte, dass er sich zur Tatzeit und danach in einem Zustand des Wahnsinns befunden hätte. Im Schwurgerichtsprozess wegen Tötung am 6./7. Mai 1848 wurde er infolgedessen freigesprochen.

Die Beerdigung Neddermanns fand unter Beteiligung von fast tausend Menschen statt, die ihn auf seinem letzten Weg begleiten wollten. Eine Witwe und sechs unmündigen Waisen standen an seinem Grab.

Sicherlich wird sich der Leser fragen, was aus der Familie Krebs geworden ist. Konnte sie die Schande ertragen und ist im Flecken wohnen geblieben? Ist der Landchirurg Krebs nach seinem Freispruch wieder zu seiner Ehefrau zurückgekehrt? Ich habe es nicht ermitteln können.

Die Ehefrau siedelte nach Hannover über und verstarb vor 1861. Mathilde, ihre 1844 geborene Tochter, wurde von ihrem Onkel aufgenommen und erzogen. Sie trat später in ein Dienstverhältnis und wurde straffällig. 1861 wurde sie auf Anordnung des Amts Calenberg ausgewiesen und in schwangerem Zustand in ihre alte Heimat Lemförde transportiert, wo sie ein uneheliches Kind gebar. Danach verliert sich auch ihre Spur.

Die Familie Neddermann blieb noch eine Zeitlang im Flecken wohnen. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg kehrte sie Lemförde den Rücken und verzog nach Frankreich. In Straßburg gründete der Sohn Rudolph 1871 die "Manufacture Alsacienne de Caoutchouc á Strasbourg R. Neddermann", eine Gummiwaren- und Guttapercha-Handlung. Im Herzen blieb die Familie dem Flecken Lemförde noch lange verbunden, wie großzügige Spenden zum Kirchenbau von 1889/90 belegen.