Februar 28, 2023

Die Germania – Symbol der Heldenverehrung oder des Gedenkens?

Auf meinen Spaziergängen im Stemweder Berg lege ich häufig eine kleine Rast am Rest eines steinernen Denkmals ein, das noch vor über 60 Jahren platzprägend an der Hauptstraße am Amtshof stand. Auf dem Sockel erhob sich einst die Germania. Dargestellt war die Frauenfigur mit dem Schutzschild in der linken und dem Schwert in der rechten Hand. Beide hielt sie – nicht wehrbereit – gesenkt. Der Sockel war verziert mit Eichenlaub und dem Eisernen Kreuz. Darunter befand sich die Inschrift: "Dem Andenken der für das Vaterland gefallenen Krieger geweiht". Unwillkürlich stellt sich der Gedanke ein: War sie ein Symbol der Heldenverehrung oder ein Mahnmal in Andenken an die Gefallenen der Kriege?

Kriegerdenkmal mit der Germania am Amtshof

Meine Gedanken wandern zurück ins Jahr 1866 zu der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen dem Königreich Hannover und Preußen, die ihren Höhepunkt in der Schlacht von Langensalza fand, als aus Lemförde und Umgebung quasi Nachbarn gegen Nachbarn in den Krieg zogen. Auch wenn die Schlacht von Langensalza nicht mit der Kapitulation Hannovers geendet hatte, so hatte doch in Lemförde der traurige Anblick der waffenlos zurückkehrenden Kämpfer in ihren hannoverschen Uniformen einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Als nach Beendigung des Krieges in ganz Preußen Dankgottesdienste abgehalten wurden, ereignete sich in der Dielinger Kirche, zu der auch das Dorf Stemshorn gehörte, eine denkwürdige Begebenheit. Zu Beginn des Gottesdienstes äußerte der Pastor: "Wir wollen uns erheben, um Gott für den Sieg, den er unseren Fahnen verliehen hat, zu danken. Die Stemshorner können sitzen bleiben." Der Pastor, dem diese Anordnung selbst peinlich gewesen sein mag, war wohl bestrebt gewesen, die Empfindungen seiner Pfarrkinder aus Stemshorn zu schonen. Damit hatte sich dann die tragisch-komische Situation ergeben, dass selbst im Gottesdienst eine Teilung der Gemeinde in von Gott begünstigte Sieger und Besiegte erfolgte, denen Gottes Hilfe nicht zuteil gekommen war. Der Ausspruch des Dielinger Pastors trug sicherlich nicht dazu bei, auf Seiten der Hannoveraner Sympathien für die Preußen aufkommen zu lassen. Es entwickelte sich nach der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen unterschwellig ein gewisser Hass auf die Preußen im ehemals hannoverschen Gebiet. Man sah sich in der Ehre verletzt.

In diese Nachkriegszeit hinein brach 1870 der deutsch-französische Krieg aus, an dem auch Soldaten aus Lemförde und Umgebung teilnahmen. Bei der kleinen französischen Stadt Sedan kam es zur entscheidenden Schlacht. Auch wenn der Krieg noch bis zum Anfang des Jahres 1871 fortgeführt wurde, war mit der Gefangennahme des französischen Kaisers Napoleon III. das Ende des französischen Kaisertums besiegelt und der Weg zur deutschen Einigung frei. Im Kaiserreich hatte der militärische Sieg über Frankreich und damit die Gründung des Kaiserreichs eine fast sakrale Bedeutung. Endlich war für die Lemförder Bevölkerung die Schande von Langensalza weitgehend getilgt.

Am 5. Dezember 1872 kamen 42 Männer aus dem Alten Amt Lemförde, die am deutsch-französischen Krieg teilgenommen hatten, im Hockemeyerschen Gasthaus zusammen und riefen den Kriegerverein Lemförde ins Leben. Die in der Kriegerkameradschaft gelebte Fürsorge betraf in erster Linie die Organisation besonderer Begräbnisse für gefallene Kameraden sowie die Unterstützung der Witwen und Waisen. Sie stieß jedoch nicht bei allen Einheimischen auf Gegenliebe. Als kurz nach der Gründung ein Vereinsmitglied und Teilnehmer des Befreiungskrieges mit militärischen Ehren beigesetzt werden sollte, protestierte der Ortsgeistliche vehement gegen die Abgabe der Ehrensalve. 1874 erhielt der Kriegerverein eine Fahne, zu der der Kaiser 25 Thaler beisteuerte. Die Anzahl der Mitglieder nahm so stark zu, dass sich den anderen Orten des Amts Lemförde eigene Kriegerkameradschaften bildeten: in Lembruch 1887, in Marl 1894, in Hüde 1895, in Brockum 1896, in Stemshorn 1900 und in Quernheim 1920. Im Laufe der Jahre wurde der Kriegerverein Lemförde zum Träger vaterländischer Feiern und Veranstaltungen. Dem "Sedantag" fiel so etwas wie die Rolle eines Nationalfeiertages im Zeremoniell des frisch geeinten Deutschen Reiches zu. Die Kaisergeburtstage wurden feierlich begangen. Deutschtum und Nationalpatriotismus verbanden sich mit Rechtskonservatismus, Militarismus und einer antidemokratischen Haltung.

Galten frühere Schlachten noch als "letzter Triumph mittelalterlichen Rittertums über die moderne Waffentechnik", hatte die Technik jetzt die Oberhand. Die militärtechnische Entwicklung löste einen Paradigmenwechsel im Heldenbild der Neuzeit aus. Es verschob sich immer deutlicher vom Feldherrn zum einfachen Soldaten. Mit der steigenden Zahl einfacher Soldaten, die auf dem Schlachtfeld ihr Leben ließen, stieg nun auch die Bedeutung postmortaler Ehrungen und rückte die Glorifizierung des Todes ins Zentrum. Auf Initiative des Lemförder Kriegervereins wurde 1883 an der Hauptstraße am Amtshof zum Gedenken an die Gefallenen des deutsch-französischen Krieges 1870/71 nach dem Entwurf des Diepholzer Bildhauers Chr. Schröder das Germaniadenkmal errichtet und am 29. Juni 1884 feierlich eingeweiht. Den Platz dazu schenkte Clamor Freiherr von dem Bussche-Ippendorf. Jährlich wurden rituelle Inszenierungen wie Feiern oder Kranzniederlegungen am Denkmal veranstaltet. Den toten Kriegshelden wurde eine Vorbildfunktion zugesprochen, die andere ermutigen sollten, ebenfalls ein Opfer zu erbringen, damit das vorangegangene Opfer nicht sinnlos gewesen sein möge.

Stolz nahmen die Lemförder Konfirmanden 1916 nicht – wie in den Jahren zuvor üblich – vor dem Pfarrhaus, sondern vor dem Germaniadenkmal Aufstellung

Noch in der Zeit vor dem 1. Weltkriegs war das Gedenken an den Sieg über Frankreich allgegenwärtig. Es hatte sich ein Nationalstolz entwickelt, der mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs im Sommer 1918 deutlich zum Vorschein kam. Vaterlandslieder erklangen und in der Lemförder Kirche wurden die einberufenen Rekruten feierlich verabschiedet. "Wir Deutschen fürchten Gott allein und sonst nicht auf der Welt", hieß die Parole, "in sechs Wochen feiern wir Pariser Schützenfest!" Doch mit jedem Tag, den der Krieg länger dauerte, und mit jedem Gefallenen, der betrauert werden musste, kehrte die Ernüchterung ein und wich einem Hoffen auf Beendigung des Krieges.

Das Germaniadenkmal wurde in seiner Widmung angepasst und nach Kriegsende 1918 zu einer Gedenkstätte erweitert. Es wurde eine halbrunde Mauer mit drei Nischen hinter die Germania gesetzt. Auf drei eingemauerten Steintafeln wurden die Gefallenen und Vermissten des 1. Weltkriegs aufgeführt.

Mit der Einführung des Volkstrauertags wurde das Denkmal seit 1919 in ein öffentliches Erinnern eingebunden, indem der Kriegerverein (seit 1935 Kyffhäuserkameradschaft Lemförde), der Schützenverein Lemförde und die Schützen- und Kriegerkameradschaft Quernheim am Volkstrauertag einen Kranz niederlegten. Im Mittelpunkt stand nun die Trauer um die zahlreichen Kriegsopfer.

Ab dem Jahr 1934 standen nicht mehr das Totengedenken und die Trauer im Mittelpunkt des Feiertages. Die Nationalsozialisten benannten den Feiertag um in "Heldengedenktag" und erklärten ihn zum staatlichen Feiertag. Schon der Name gibt Auskunft darüber, worum sich seit dem Zeitpunkt seiner Umbenennung bis zur Kapitulation des Dritten Reichs 1945 der Tag drehte: Heldenverehrung.

Das Germaniadenkmal repräsentierte ein Heldentum, das speziell den Siegern vorbehalten und für das nach der Niederlage im 2. Weltkrieg kein Platz mehr war. In den 1960er Jahren wurde das Denkmal entfernt. Mit dem Bau der neuen Friedhofskapelle am Espohl wurde 1962 ein neuer Ehrenhain für die Gefallenen, Vermissten und Heimatvertriebenen beider Weltkriege geschaffen. 36 Steinkreuze erinnern an die zivilen Kriegsopfer. Ich kann mich noch erinnern, dass die entsorgte Germania einige Jahre in einer Ecke hinter der Turnhalle ein unwürdiges Dasein fristete, bis sie eines Tages verschwunden war.