Mai 28, 2023

„Dies ist eine Kirche und kein Schafstall“

"Wenn nicht der Turm danebenstehen stände, würde es sich empfehlen, das stallartige, mit unzähligen viereckigen Fenstern versehene Gebäude, in welchem Gottesdienst gehalten wird, durch die Inschrift kenntlich zu machen: Dies ist eine Kirche. So ähnlich drückte sich der Diepholzer Superintendent Rasch 1881 im Synodalprotokoll aus, als er aufgefordert wurde, die 1889 abgerissene 230 Jahre alte Martin-Luther-Kirche in Lemförde zu beschreiben. Heute würden touristische Besucher die Kirche vermutlich als Baudenkmal ob seiner Schönheit schätzen, und die Kirchengemeinde im Flecken sah das damals ähnlich. Sie fand ihre Kirche gar nicht mal so hässlich.

Die 1659 errichtete Lemförder Kirche mit dem 1794 angebauten Turm vor dem Abriss 1889

Das vor dem Abriss entstandene Foto dieses Kirchenbaus zeigt ein Gotteshaus mit Kirchenschiff und Chor in Fachwerkbauweise mit vielen kleinen Türen und Fenstern. Das Kirchendach ist mit Ziegeln gedeckt. Einzig der Turm besteht aus verputztem Mauerwerk mit einer hölzernen Spitze. Das Gebäude war nach dem Brand des Vorgängerbaus 1659 errichtet und mehrmals umgebaut und erweitert worden. Der Turm wurde 1794 angebaut.

Kirchenschiff der 1889 abgerissenen Lemförder Kirche mit Blick auf den Altar

Als ich dem Burlager Pastor Storkebaum das Foto des Innenraums der Lemförder Kirche vorlegte, glaubte er tatsächlich, seine Burlager Kirche vor Augen zu haben. In der Tat wiesen beide Kirchen eine große Ähnlichkeit auf. Der Fußboden war aus Sandstein belegt und in den Gängen und im Chor lief man über alte Grabplatten. Die Decke wurde von einfachen Holzständern getragen und war mit rohen Brettern belegt. Auf dem Chor stand vor dem Orgelprospekt der Altar, mitten davor der Taufstein.

Auch der zu dieser Zeit in Lemförde amtierende Pastor Johann Konrad Wilhelm Ostertag, gerade erst 1887 in Lemförde eingeführt, konnte dieser Meinung nur beipflichten und kam zu dem Schluss: "Wir müssen eine neue Kirche haben!" Doch nicht jeder Bürger teilte angesichts klammer Kassen diese Ansicht. So gestattete der Kirchenvorstand vorerst nur, sonntags in einem zweiten Klingelbeutel Geld für einen neuen Kirchenbau zu sammeln. In einem Jahr kamen dabei etwa 1000 Mark zusammen.

Doch mit diesem Ergebnis war Pastor Ostertag nicht zufrieden. Er rief die Lemförder und Quernheimer Bevölkerung im Hockemeyerschen Saal zusammen um zu beratschlagen, wie das erforderliche Geld beschafft werden könne. Bereits während der Versammlung zeigten sich die Gäste spendierfreudig und legten etwa 3200 Mark auf den Tisch. Zudem wurde mit Erlaubnis des Oberpräsidenten in Hannover beschlossen, im Land Hannover eine Hauskollekte zu starten. 12 Männer wurden ausgesandt, Geld für den Kirchenbau aufzutreiben. 11488 Mark an Spenden füllten so die Kasse. Der Bau konnte beginnen.

Am Tage nach Ostern 1889 war es endlich soweit. Am frühen Morgen setzte unter der Leitung des Zimmermeisters Logemann der Abriss der alten Kirche ein. Die Bauern kamen mit ihren Gespannen und fuhren den Schutt ab. Steine, die man wiederverwenden konnte, wurden gesäubert und beiseitegelegt. Zur Sicherung des Baukörpers dienten Eishaken als Stützen für die Ständer und Balken. Der Turm blieb stehen. Abschließend wurde der Platz gesäubert und geebnet.

Nach den Plänen des Architekten Eduard Wendebourg aus Hannover begann der Neubau. Beim Ausschachten der Grundmauern kamen Knochen ans Tageslicht, da der Kirchplatz bis 1769 noch als Friedhof genutzt worden war. Die Gebeine wurden auf dem Friedhof am Espohl beigesetzt.

1889 fand die Grundsteinlegung statt. Ein vermauerter eiserner Kasten unterhalb des heutigen Altars soll an dieses Ereignis erinnern. Er enthält ein Dokument mit den Namen des Lemförder Pastors Ostertag, des Kirchenvorsteher, des Bürgermeisters Meyer, des Magistrats, der Lehrer und der am Bau beteiligten Handwerksmeister.  Beigegeben sind eine Bibel und einige Geldscheine, die damals Gültigkeit besaßen.

Die Steine für die Außenmauern wurden mit Gespannen aus dem Deister geholt, die Ziegelsteine kamen hinter Diepholz weg. Sogar die Lembrucher Bauern halfen mit ihren Gespannen beim Anfahren der Baumaterialien und die Wetscher halfen beim Aufladen. Das Bauholz wurde aus dem Wiehengebirge und aus Vlotho geholt, da das Holz aus dem Stemweder Berg nicht geeignet erschien. Geschnitten wurde es in der Sägemühle bei Buddenberg. Viele Lemförder und Quernheimer Bauern ließen in diesem Sommer ihre Feldarbeit zeitweise ruhen, damit die Fertigstellung des Baus zügig vorankam. Und das alles ohne Bezahlung!

Die Maurerarbeiten wurden von den Maurermeistern Doil aus Lemförde und Quebe aus Haldem ausgeführt, die Zimmerarbeiten von den örtlichen Zimmermeistern Logemann und Dassel. Die Klempnerarbeiten übernahmen Bruns und Denker aus Lemförde.

Während der Zeit des Kirchenbaus wurden der Gottesdienst und die Taufen in Quernheim auf der Diele bei Clausmeyer gefeiert. Alle waren froh, als der Rohbau endlich fertig gestellt war. Es ergab sich nur ein großes Problem: Das Geld für den Kirchenbau war fast aufgebraucht.

Doch wieder einmal zeigten die Quernheimer und die Lemförder Bürger ihr großes Herz. Ein Wetteifer im Schenken setzte ein. Die Gemeinde Quernheim stiftete einen Taufstein, die Familie des Lederfabrikanten Weber einen Altar und Buntglasfenster und der Apotheker Weber Kron- und Armleuchter. Unter den weiteren Geschenken befanden sich die geschnitzten Kanzelverkleidungen, Altarleuchter, Klingelbeutel, Opferstöcke und Paramente sowie die Abendmahlkanne, die Taufschale, die Altarbibel und das gemalte Oberlichtfenster. Der Wert der Geschenke belief sich auf über 5000 Mark. Durch die Verpachtung der Kirchenbänke aus den Werkstätten der Lemförder Tischler Lindemann und Kapmeier auf 6 Jahre gelang es schließlich auch, eine Orgel der Firma Rohlfing zu erwerben. Der alte Turm von 1794 erhielt zwei neue Türen und Schmiedemeister Hagen fertigte eine neue Spitze, die den alten Wetterhahn ersetzte.

Martin-Luther-Kirche Lemförde (Foto: Volker Harting)

Am 2. November 1890 wurde die neue Kirche feierlich eingeweiht. In ganz Lemförde waren die Häuser zu diesem Anlass bekränzt. Die Quernheimer und die Lemförder Bürgerinnen und Bürger waren stolz auf ihre Kirche, zu deren Bau sie in Eigenleistung so viel beigetragen hatten.

Blick auf den Chorraum der Martin-Luther-Kirche
Orgelprospekt der Fa. Rohlfing

"Gott lasse es nie leer stehen, wenn die Glocken rufen!" Dieser, bei der Weihe des neuen Gotteshauses geäußerte Wunsch, ist heute aktueller denn je. Die Mitgliederzahlen der Kirchen gehen zurück, bestehende Kirchengebäude werden zunehmend zum Ballast. Immer mehr Kirchengemeinden müssen sich überlegen, welche Immobilien sie behalten wollen und wie man sie weiter nutzen kann. Wohin geht die Reise in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Lemförde?