April 29, 2023

Zur Berufsstruktur der jüdischen Familie Oppenheimer im Flecken Lemförde 1852

Während sich die nichtjüdische Bevölkerung im Flecken Lemförde vorwiegend von Ackerbau, Viehzucht und Handwerk ernährte, im Nebenerwerb mit Spinnerei und Weberei beschäftigt war oder Tagelöhnerarbeiten verrichtete, waren die Juden im Flecken darauf beschränkt, ihren Lebensunterhalt nur mit Tätigkeiten bestreiten zu können, die ihnen rechtlich erlaubt waren oder die die alteingesessene Bevölkerung aus den unterschiedlichsten Gründen nicht betreiben wollte.

Die Volkszählung im Königreich Hannover erfasste 1852 folgende jüdische Familienbetriebe:

1. der Produkthandel des Samuel Goldschmidt

2. die Buchbinderei Hermann Oppenheimer

3. der Schlachtbetrieb des Nathan Jacob Adelsheimer

4. das Kaufgeschäft des Salomon Oppenheimer

5. der Trödelhandel des Marquart Adelsheimer

6. der Betrieb des Schusters und Färbers Wolf Frankfurter

7. der Trödelhandel des Lazarus Silbermann

8. der Produkthandel des Nathan Jacob Weinberg

9. die Färberei des Julius Oppenheimer

Ins Auge fällt die Dominanz der Beschäftigung der jüdischen Familien im Handelssektor, in dem die seit 1807 im Flecken Lemförde nachweisbare Familie des Schutzjuden Selig Samson Oppenheimer, eines Sohnes der Eheleute Samson und Friederike Oppenheimer, tätig war. Verheiratet war er in erster Ehe mit Friederike Oppenheimer. 1817 ging er mit Juliane Herzfeld, einer Tochter des Salomon Herzfeld zu Steinheim, eine zweite Ehe ein.

Letztere führte die Manufaktur ihres Mannes nach dessen Tode im Jahre 1834 fort. 1844 erwarb sie die Bürgerstelle Groneweg Nr. 83 an der Hauptstraße und eröffnete dort ein Manufakturgeschäft, in dem Galanteriewaren (Modewaren) und Tücher angeboten wurden. Neben dem Sohn Samson (* 1805) aus einer unehelichen Verbindung ihres Ehemanns mit Hanchen David aus Rehburg entstammten den beiden Ehen weitere 4 Söhne und 4 Töchter. Ihre Berufsstruktur weist 1852 die typischen Berufe der jüdischen Bevölkerung im Königreich Hannover auf.

Manufakturhandlung Oppenheimer (links) an der Hauptstraße

Samson Oppenheimer kam in der Familie mit seiner sozialen Stellung als uneheliches Kind nicht zurecht. Er lehnte sich gegen seinen Vater auf, kassierte im Namen seines Vaters unbefugt ausstehende Gelder, ohne sie abzuliefern und entwendete Waren aus dem elterlichen Manufakturgeschäft. Auch machte sich bei ihm ein Hang zum Nichtstun und Wohlleben bemerkbar. Zwischen 1816 und 1826 saß er mehrmals im Gefängnis ein. 1826 trat er zum christlichen Glauben über, nahm den Familiennamen Lembruch an, heiratete in der Kirche zu Burlage Marie Luise Wacker und ließ sich mit ihr als Häusling und Schlachter in Lembruch nieder.

1848 setzte sich die Witwe Juliane Oppenheimer zur Ruhe. Sie übergab die Manufaktur und ihr gesamtes Vermögen ihrem ältesten Sohn Salomon anlässlich seiner Eheschließung mit Röschen Leffmann o. V. Goldschmidt aus Rahden, der im Gegenzug ihre Versorgung bis an ihr Lebensende übernahm. Dieser wurde am 28. April 1818 in Lemförde geboren. 1845 trat er mit fast 27 Jahren bei dem Lemförder Kaufmann Justus Rodemann eine Kaufmannslehre an und trat nach seiner Ausbildung ins elterliche Geschäft ein. 1848 setzte sich die Witwe Juliane Oppenheimer zur Ruhe. Sie übergab ihrem Sohn die Manufaktur und ihr gesamtes Vermögen anlässlich seiner Eheschließung mit Röschen Leffmann o. V. Goldschmidt aus Rahden, der im Gegenzug ihre Versorgung bis an ihr Lebensende übernahm. Als Prokurist mit im Geschäft war sein Bruder Bernhard (1819-1909) tätig. Außerdem beschäftigte er 1852 mit Moritz und Levy Meyer zwei Handlungslehrlinge.

Den Trödelhandel überließ Salomon 1849 dem Knecht Nathan Horwitz. Dieser zog zu Fuß auf dem Lande von Haustür zu Haustür und bot seine Waren an: Felle, Lumpen und anderen Trödel. Die gesammelte und abgegebene Alt- und Lumpensammlung wurde zunächst auf ihre mögliche Wiederverwendung geprüft, gegebenenfalls geflickt, umgearbeitet und weiterverkauft. Was sich als nicht mehr tragbar erwies, wurde aussortiert und gebündelt an Lumpengroßhändler abgegeben, die damit die Papiermühlen belieferten.

Hauptsächlich war Nathan Horwitz jedoch für das Schlachten oder Schächten (Schechita) zuständig. Dies war ein typisch jüdischer Beruf, für den vor einem Rabbiner zuvor eine mündlich theoretische und eine praktische Prüfung abgelegt werden musste. Die Tora erlaubt den Anhängern des jüdischen Glaubens nur den Verzehr von koscheren Tieren, die durch rituelles Schächten getötet werden. Sinn des rituellen jüdischen Schächtens ist, dem Tier beim Tötungsvorgang möglichst keinen Schmerz zuzufügen und es gleichzeitig sehr schnell ausbluten zu lassen. Vereinfacht gesagt, beinhaltet der Vorgang einen extrem schnellen Schnitt mit dem Schächtmesser gleichzeitig durch die Luftröhre und die Hauptarterie bis zur Wirbelsäule, so dass das Tier durch den sofortigen Abfall des Blutdrucks bewusstlos wird. Nach dem Schächten wird der Tierkörper nochmals sehr gründlich untersucht, um sicherzustellen, dass das Tier gesund war, denn jedes Tier, das einen Makel aufweist, ist nicht koscher. Nicht alle Teile des koscheren Tiers dürfen gegessen werden. Die Hüftsehne, das Fett und das Blut sind nicht koscher.

Das Geschäft entwickelte sich unter Salomon Oppenheimer zu einer bedeutenden Manufaktur. Den Gewinn legte Salomon Oppenheimer unter anderem in Immobilien an. So erwarb er 1864 die Stelle Nr. 84 an der Hauptstraße (1881 abgebrochen), und später die Leibdienerstelle Marlmann Nr. 11 in Hagewede, die er 1869 an Gerd Friedrich Thölke weiterverkaufte. 1871 starb seine Mutter Juliane im Alter von 78 Jahren. Am 29. August 1872 war auch seine Lebenszeit beendet.

1822 wurde Salomons Bruder Julius (Joel) geboren. Da das Geleit als Schutzjude von seinem Vater auf seinen älteren Bruder Salomon übergegangen war, verließ Julius den Flecken Lemförde und zog in die Fremde um das Färberhandwerk zu erlernen. Dieses durfte als ein traditionell jüdischer Berufszweig von ihm ausgeübt werden, da es nicht zunftgebunden war.

Er schrieb sich in Osnabrück ein und begann Michaelis 1838 seine Ausbildung beim dortigen Färber Gustav Meese. Seine zweijährige Lehrzeit beendete er am 9. Oktober 1840 mit der Ausstellung des Gesellenbriefs. Ein Gesellenstück hatte er nicht anfertigen müssen, da dieses erst mit Bekanntmachung vom 6. November 1840 im Osnabrücker Lande verordnet worden war. Nach seinen Reisejahren kehrte er 1844 nach Lemförde zurück und erwarb ein Grundstück an der Kochstraße.

1846 suchte der Färbergeselle Julius Oppenheimer um Aufnahme in die Gilde der Schwarz- und Schönfärber der Grafschaft Diepholz nach und bat darum, sein Meisterstück anfertigen zu dürfen, da er beabsichtigte, im Flecken Lemförde das Bürgerrecht zu gewinnen und sich dort als Färbermeister niederzulassen.

Die Gilde stand seinem Gesuch jedoch ablehnend gegenüber. Zwar konnte Julius Oppenheimer Dokumente vorlegen, die seine Geschicklichkeit und die Rechtmäßigkeit seines Gesuchs nachwiesen, doch war die Lemförder Bürgerschaft der Meinung, dass im Flecken zu einer Überfüllung mit Färbern kommen würde, da dort mit den Färbern Hagen und Groneweg bereits zwei Färber tätig wären und dadurch Schaden leiden könnten. Die Gilde verweigerte sein Gesuch unter Begründung der Bestimmungen des Gildereglements von 1692 und Gildebriefs von 1806, nach denen er nicht das Lemförder Bürgerrecht besaß und weder ein Gesellenstück abgeliefert hatte, noch das erforderliche Mindestalter von 25 Jahren aufwies. Der eigentliche Grund der Ablehnung war offenkundig. Die Gilde wollte keinen Juden aufnehmen, der es verstand, neben seinen handwerklichen Fähigkeiten ein Handelsgeschäft in der Kaufhandlung seiner noch lebenden Mutter aufzuziehen.

Abbauerei Oppenheimer (sp. Julius) an der Kochstraße (ca. 1930)

1850 errichtete Julius Oppenheimer nach seiner Verehelichung mit Fanni Goldschmidt an der Kochstraße die Abbauerei Nr. 128, mit der allerdings keine Bürgergerechtigkeit verbunden war.

Auch der jüngste Bruder des Salomon, der 1824 geborene Sohn Herman (Hersch), widmete sich einem traditionell jüdischen Beruf. Er wohnte 1852 als Häusling im Hause Nr. 16 an der Hauptstraße und war als Buchbinder tätig, ein Beruf, der auf die Zeit des Buchdrucks zurückgeht und für Juden als zunftfreies Gewerbe zugänglich war. Hier betrieb er zusammen mit dem Buchbindergesellen Julius Cessarius und dem Lehrling Samuel Freenkenberg eine kleine Werkstatt. Seine Waren veräußerte er als Kaufmann und Handlungsreisender. 1853 heiratete er in erster Ehe Sara Katz aus Vörden, 1862 in zweiter Ehe Emma Meyer aus Bielefeld. Er starb am 20. Februar 1873.